Unsichtbar und hochgefährlich

17.09.2016

Benzol ist hochgiftig und krebserregend und deshalb in verschiedenen westlichen Ländern für industrielle Zwecke verboten. Nicht so in China und in vielen anderen aufstrebenden Industriestaaten, in denen zahlreiche Produkte für unseren Alltag hergestellt werden.

Gewonnen wird Benzol aus Steinkohle und v.a. aus Erdöl. Für industrielle Zwecke wird Benzol vor allem in Farben, Leim und Reinigungsmitteln eingesetzt. Hunderttausende junge Chinesinnen und Chinesen, die in der Endfertigung von Elektronikgeräten, in der Spielzeugindustrie sowie in Schuhfabriken arbeiten, kommen so täglich mit der tödlichen Flüssigkeit in Kontakt. Und auch Konsumentinnen und Konsumenten von Plastikspielzeug, Schuhen oder Smartphones kommen damit in Berührung.

Berufsrisiko Leukämie

Benzol kann über die Atemwege und die Haut in den menschlichen Organismus gelangen. Eine Benzolkonzentration von zwei Prozent in der Atemluft ist bereits nach 5 bis 10 Minuten tödlich. Beim Kontakt über längere Zeit führen schon sehr kleine Mengen zur Schädigung des Erbguts, der inneren Organe und des Knochenmarks. Blutarmut mit Schwindel, Herzrasen, Blässe, Müdigkeit und Kopfschmerzen sind die Folge. Die Schädigung des Knochenmarks führt zu einer akuten Form von Leukämie. 

Laut offiziellen Statistiken ist Benzol in China für mehr als 60 Prozent aller berufsbedingten Krebserkrankungen verantwortlich. In der südchinesischen Industriestadt Dongguan sind gar 30 Prozent aller berufsbedingten Erkrankungen auf Benzol zurückzuführen. Und es ist davon auszugehen, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist, da bei weitem nicht alle Fälle behördlich registriert sind. Nach Schätzungen der chinesischen «Ban Benzene» Kampagne werden bis zu einer Million Arbeiterinnen und Arbeiter in China in den kommenden Jahren sterben, weil sie an ihrem Arbeitsplatz mit Benzol in Kontakt kamen.

In China weit verbreitet 

Dass Benzol bei längerfristigem Kontakt zu Leukämieerkrankungen führt, kam in den 1960er-Jahren ans Licht. Es häuften sich Fälle von Leukämie bei italienischen Schuhmachern, die Klebstoffe mit Benzol verwendeten. 1972 verabschiedete die Internationale Arbeitsorganisation ein Übereinkommen zum Schutz vor Benzol, das dessen Verwendung für industrielle Zwecke verbot. Bis heute haben 38 Staaten – u.a. die Schweiz, Italien, Frankreich und Deutschland – das Abkommen ratifiziert. In den USA existiert bislang kein Verbot, sondern lediglich Konzentrationslimiten.

2013 hat China die USA als grössten Benzolverbraucher weltweit abgelöst und wird laut Wirtschaftsanalysten die steigende Nachfrage massgeblich bestimmen. 

Lösung noch weit entfernt

«Gerade mal einen US-Dollar pro Smartphone würde es kosten, Benzol durch einen ungefährlicheren Stoff zu ersetzen», sagt Ted Smith von der internationalen Kampagne für verantwortungsvolle Technologie. Dennoch gibt es derzeit gibt es kein Elektronikprodukt auf dem Markt, das garantiert ohne Benzol hergestellt wurde.

Das chinesische Ministerium für Gesundheit hat das Thema Benzol-Vergiftung im Jahr 2002 nach einigen drastischen Fällen von Massenvergiftungen zwar aufgenommen. In der Praxis geschah bis heute jedoch nichts. Und auch aufseiten der Markenfirmen und der Zulieferer ist bezüglich Schutz vor giftigen Chemikalien bislang wenig passiert. «Es gibt einen konstanten Druck auf die Firmen, Kosten einzusparen; dieser Kostendruck zieht sich dann entlang der ganzen Lieferkette», sagt Kate Cacciatore, früheres Mitglied des Leitungsgremiums der Electronic Industry Citizenship Coalition (EICC), einer Vereinigung von 105 Elektronikmarken. Dank einer intensiven Sensibilisierungsarbeit und dem Druck verschiedener Nichtregierungsorganisationen, zu denen auch HEKS und Fastenaktion gehören, hat EICC 2015 eine «Chemical Taskforce» eingerichtet und gelobt, sich des Themas anzunehmen. Doch bis daraus wirksame Massnahmen entstehen, werden noch Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter in China und weltweit an den Folgen von Benzol erkranken und sterben.