Wenn wir den CO2-Ausstoss einteilen müssten

Denken wir darüber nach, wie viel Geld wir für Ferien oder ein neues Fahrrad ausgeben wollen, ist klar: Wir schauen erst auf unseren Kontostand und planen anschliessend die Ausgaben. Anders wird das in der Klimapolitik gehandhabt: Wir geben aus, ohne genau zu wissen, wie viel uns noch auf dem Konto bleibt. Ändern könnte das das Wissen um ein sogenanntes CO2-Budget.

Klimawissenschafterinnen und Klimawissenschafter warnen mit immer deutlicheren Worten und liefern robuste Modellrechnungen. Jedes Zehntelgrad führt zu einer Zunahme von extremen Wetterlagen, deren Auswirkungen gerade Menschen, die am wenigsten dazu beitragen, am stärksten spüren.

Die Wissenschaft liefert Zahlen…

Die gerechneten Modelle basieren auf Temperaturmessungen und schauen in die Zukunft. Heute messen wir eine globale Durchschnittstemperatur, die 1,1 Grad über dem langjährigen Mittel vor der Industrialisierung liegt. Die Gesamtmenge an CO2 in der Atmosphäre ist um rund 2400 Gigatonnen gestiegen. Nimmt man das Ziel, die globale Erwärmung bei 1,5 Grad zu stoppen, wie es das Pariser Klimaabkommen anstrebt, und eine Wahrscheinlichkeit, es zu erreichen, von 66 Prozent, kann die Atmosphäre noch rund 400 Gigatonnen CO2 aufnehmen – so viel bleibt also noch auf dem weltweiten Konto. Gehen wir von den 2019 verursachten globalen Emissionen aus, würden die verbleibenden 400 Gigatonnen noch ungefähr zehn Jahre reichen. Wird weniger ausgegeben, reichen sie länger. Das verhält sich genau gleich wie bei einem Guthaben auf dem Sparkonto: Je weniger man pro Jahr ausgibt, desto länger reicht es.

…und Ethikerinnen und Ethiker rechnen, was gerecht wäre

Da die nationalen Klimaziele bekannt sind, zum Beispiel das schweizerische Netto-Null-Ziel bis 2050, ist es aufschlussreich zu wissen, wie gross der gerechte Anteil der Schweiz an diesem globalen Guthaben ist. Im September des vergangenen Jahres haben Vertreterinnen und Vertreter von zehn kirchlichen Institutionen diese Frage diskutiert. Ihnen wurden verschiedene Kriterien vorgelegt, stark gewichtet wurden dabei historische Verantwortung, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und konsumbasierte Emissionen. Die Gewichtung dieser Kriterien führt zum Anteil des noch verbleibenden ethisch gerechten CO2-Restbudgets. Das Resultat ist zwar wenig überraschend, aber dennoch schockierend. Aus der Perspektive der Klimagerechtigkeit bleibt der Schweiz noch das 2,17-Fache der Emissionen von 2019 übrig. Das bedeutet: Unter der Annahme, dass die Emissionen der Schweiz in den Jahren 2020 und 2021 gleich hoch sind wie jene im Jahr 2019, wird das klimagerechte CO2-Restbudget der Schweiz, das bis 2050 reichen sollte, bereits im März 2022 aufgebraucht sein.

Wie weiter?

Ein Netto-Null-Ziel bis 2050 darf nicht die alleinige Bemühung der Schweiz bleiben, vorausgesetzt, wir wollen tatsächlich zu mehr Klimagerechtigkeit beitragen. Dazu braucht es deutlich mehr Anstrengung. Importierte graue Emissionen müssen reduziert werden. Die Beiträge zur Finanzierung von Emissionsminderungen und Anpassung in anderen Ländern müssen zusätzlich zum Entwicklungskredit erhöht werden. Zudem sollen zusätzliche Gelder für bereits eingetretene Schäden und Verluste gesprochen werden. In einem indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative braucht es ein Netto-Null-Ziel bis spätestens 2040, ergänzt mit einer verbindlichen Zusage zu einer linearen Absenkung der Treibhausgasemissionen und einem konsequenten Ausstieg aus fossilen Energien. Nur mit diesen zusätzlichen Bemühungen können wir innert nützlicher Frist Klimagerechtigkeit erreichen.